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Galerie Peter Herrmann


 

Rede zur Eröffnung der Ausstellung "En el orden del caos", "Die Ordnung im Chaos" mit der Künstlerin Laura Anderson Barbata in den Räumen der Landesbank Baden-Württemberg.

Peter Herrmann


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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr nach sechsmonatiger Stuttgart-Abstinenz heute zu diesem wichtigen Anlass hier zu sein.

Diese Freude hat mehrere Gründe. Sie auszuführen habe ich heute die Möglichkeit bekommen und bedanke mich dafür bei den Verantwortlichen und Beteiligten.


 

Wie Herr Dr. Jaschinski schon ausführte, ist an dieser Ausstellung neben der Künstlerin Laura Anderson-Barbata und der Landesbank Baden-Württemberg maßgeblich das Konsulat Mexikos beteiligt. Die Landesbank als Vermittler und Raumgeber steht in der hohen Verantwortung einen qualitativen Anspruch in Kontinuität zu gewährleisten. Das mexikanische Konsulat möchte mit einer gehaltvollen Aussage auf das Land seiner Beziehung verweisen und beim Betrachter, über die künstlerische Aussage hinaus, eine Symphatiewirkung erzielen.

Mit der Auswahl von Laura Anderson Barbata ist ein großer Wurf gelungen, der die verschiedenen Interessenlagen bedient, ohne in der Präsentation durch Kompromisse auf Inhalte verzichten zu müssen. Ich habe nun die angenehme Aufgabe, Ihnen Inhalt und Interessen in ihrer Relation darstellen zu dürfen.

Wie sich denken können, hat man keine unbekannte Person für diese Ausstellung ausgewählt. Die Künstlerin Laura Anderson Barbata ist eine international renommierte Künstlerin, die in vielen amerikanischen Ländern bekannt ist. In Europa war sie in verschiedenen Gruppenausstellungen in Holland, Belgien, Österreich, Deutschland und Spanien zu sehen. Hier in der Landesbank wird sie mit ihrer ersten Einzelausstellung in Europa gewürdigt.

In Mexico City 1958 geboren und aufgewachsen studierte sie Bildhauerei und Grafik an der School of Visual Arts of Rio De Janeiro in Brasilien. Danach studierte sie Architektur an der Universidad Motolinia in Mexico City, darauf folgend Soziologie an der University of California in San Diego. Heute lebt sie in Mexico City und in New York.

Diese Kurzbiografie läßt bereits ein Auswahlkriterium erahnen. Frau Anderson Barbata hat eine bewegte geographische Vergangenheit. Sie arbeitete in Ländern mit sehr unterschiedlichen Wohlstandsverhältnissen. Doch nicht nur dies. In den jeweiligen Staaten arbeitet sie auch an der Schnittstelle von Landbevölkerung und städtischer Expansion. Zu Beginn des neuen Jahrtausends ist eines der ganz aktuellen Themen der Kunst die Behandlung urbaner Entwicklungen. Metropolen wie Mexiko City, Lagos und New York stehen exemplarisch für eine noch nie dagewesene Ballungstendenz, die als ein gesamtglobales Phänomen zu betrachten ist.

Dem steht in den meisten nicht industrialisierten Ländern dieser Erde eine Landbevölkerung entgegen, die in ihrer Entwicklung bezogen auf Bildung oder technologische Nutzungsmöglichkeiten einen immer größeren Abstand erhält. Um an den Segnungen der Zivilisation teilhaben zu können, zieht es die Landbevölkerung darum in die großen Pools. Mit der Nebenwirkung, daß gewachsene Sozialstrukturen, stark mit der Natur verbundenen Mythologien, auf Erfahrung gebaute Spiritualität, Kategorien des menschlichen Miteinanders und viele daraus resultierende Weisheiten unwiederbringlich im Orkus der Geschichte landen.

Laura Anderson Barbata erhielt deshalb vor einigen Jahren den Auftrag, mit sogenannten "proyectos sociales" die Arbeit mit indigenen Völkern in Venezuela, Brasilien und Equador aufzunehmen. Sie erarbeitete mit verschiedenen Methoden eine Archivierung der Tradition dieser Amazonasvölker. Ihre Ausgangsphilosophie ist hierbei, dass wir als Zivilisationsmenschen Spuren und Zeichen der Vergangenheit ähnlich Organen in uns tragen, die bei vielen dieser Völker gelebt noch deutlicher sichtbar sind. Ohne das Wissen dieser Spuren, die wesentlich unser Sein prägen, ist eine Entwicklung nach vorne nicht denkbar oder doch zumindest mit unnötigen Problemen behaftet.

Laura Anderson Barbata übernimmt den Part, in der ungestümen Vorwärtsentwicklung der neuen Welt, die Ikonen der Vergangenheit in die Sprache der zeitgenössischen Kunst zu transformieren. Sie animiert bei den indianischen Gemeinschaften darum Einzelne, ihre Geschichte und ihr bisher mündlich überliefertes Erbe mittels künstlerischer Techniken aufzuzeichnen und zu bewahren. Ergebnisse dieses Dialogs spiegeln sich in der Arbeit der Künstlerin wider.

Laura Anderson Barbata geht in ihren vergangenheitsbezogenen Inhalten denn auch noch einen Schritt weiter. Teile Ihrer Arbeiten bringt sie in Passung zu den fragmentarisch erhaltenen Überlieferungen des Popol Vuh der Mayas. Das als Chilam Balam benannte Werk besteht aus einer Sammlung von Aufzeichnungen einzelner Mayapriester, das in seiner ursprünglichen Fassung und gestalterischen Ausarbeitung schon einen hohen künstlerischen Wert hatte. Einen Wert, der sich ebenso Bildhaft ausdrückte wie Sprachlich.

Konsequenterweise belegt die Künstlerin also noch das Feld der Sprache und bindet diese in ihrem Beziehungsgeflecht dominant ein. Eine beeindruckende Arbeit dazu war "Whose name is not Pronounced". Auf einen Baumstumpf gravierte sie im jeweiligen Gebiet Venezuelas den Namen einer bereits verloren gegangenen Sprache. "Ich bin es nicht wert dich zu empfangen. Aber sage das Wort und meine Seele wird geheilt sein" heißt eine Arbeit dieser Ausstelllung. 46 Perlen mit den eingravierten Namen der einheimischen Sprachen die heute noch in Venezuela gesprochen werden.

Laura Anderson Barbata ist weiter interessant, weil sie auf dem Begriffsfeld des Globalismus agiert. Ein Begriff, an dem sich Befürworter und Gegner sehr aktuelle Scharmützel leisten. Es ist deshalb naheliegend, auch hier mit dem Erscheinungsbild der Sprache umzugehen.

Ahmadu Hampâté Bâ, ein Philosoph aus Mali erläuterte in seinem Aufsatz "Von Mund zu Ohr" sehr anschaulich den Unterschied der oralen Tradition zu der, der schriftlichen Überlieferung. Als wichtige Quintessenz räumt er der mündlichen Überlieferung die gleiche Bedeutung ein wie der Schriftlichen. Er führt aus, wie die mündliche Überlieferung sich dynamisch jeder Wechselsituation anzupassen in der Lage ist, während die schriftliche Überlieferung die statische Wahrheit repräsentiert. Im Eingang zitiert er Tierno Bokar mit der Aussage: "Die Schrift ist eine Sache und das Wissen eine andere. Die Schrift ist die Fotografie des Wissens, aber nicht das Wissen selbst. Das Wissen ist ein Licht im Menschen. Es ist das Erbe all dessen, was die Vorfahren zu erkennen in der Lage waren und als Keim in uns legen".

Eine Auslegung der Künstlerin als Variante zu diesem Thema sehen Sie in der Ausstellung mit dem Titel "The Ancient Is Substituted By...", das sich ins deutsche mit "Die Vorfahren sind vertreten durch..." übersetzen läßt. Diese Ausstellung erhält nicht zuletzt dadurch einen wichtigen Stellenwert in diesem Globalisierungsdiskurs weil er einerseits die am meisten Betroffenen dieser Debatte als Gegenstand sozialer Entwicklung einbezogen behandelt und andrerseits heute an einem Ort stattfindet, der als Pulsgeber den neuen Wirtschaftsglobalismus repräsentiert - eine Bank, die Hüterinstanz des modernen Materialismus.

Es ist diese Widersprüchlichkeit, die der Ausstellung ihren besonderen Reiz verleiht. Die Arbeiten von Laura Anderson Barbata haben einen ausgeprägt spirituellen Ansatz oder verweisen auf diesen ohne sich selbst zum Gegenstand desselben zu machen. Auf der anderen Seite die Banken als Kulminat des scheinbar absoluten Ratio, die aber architektonisch betrachtet auf den potenziellen Kultplätzen der Stadtgemeinschaften errichtet sind.

Der moderne Stadtmensch sucht den Mythos, der Indianer Schrift. Der Bankmanager absolviert ein Survivalprogramm im Regenwald und der Yanomami möchte Überweisungsformulare der Landesbank ausfüllen.

En el orden del caos

Doch wieder zu Frau Anderson Barbata. Ein weiterer Gesichtspunkt ihrer Aktualität sollte nicht unerwähnt bleiben, - und er hat sogar etwas mit Stuttgart zu tun. Die Kausalkette geht verkürzt etwa so: Institut für Auslandsbeziehungen - Réne Block - Documenta XI - Okwui Enwezor - Ute Meta Bauer. Es war Ute Meta Bauer, nach dem Künstlerhaus Stuttgart zur Professorin in Wien berufen und nun auch Beikuratorin auf der Documenta, die im Rahmen der International Womens University als Moderatorin eine Soundinstallation von Laura Anderson Barbata vorstellte.

Es ging dabei in Hannover um das Thema "Growing Cities - Basic Needs". Frau Anderson Barbata bezieht eine Position als Frau und behandelt ökologische Themen. Wasser spielt hierbei als Basic Need eine zentrale Rolle, weshalb wir als ein Motiv der Einladung die Künstlerin während einer Performance am See wählten. Es ist die Vielschichtigkeit von Laura Anderson Barbata und ihre Sensibilität mit der sie große aktuelle Themen bearbeitet. Globalisierung und Aussterben. Ökologie und Wirtschaft. Gesellschaft, Gemeinschaft und die Rolle der Frau darin. Religion und Philosophie, Kunst, Elemente und Architektur.

Papierarbeiten, zunächst für sich selbst stehend, werden erweitert zum Gegenstand konzeptueller Arbeiten. Bildhauerische Aspekte finden sich in Installationen wieder und alles zusammen wird eingebunden in Performances. So virtuos die Künstlerin Boote mit Ye'Kuana-Indianern in Venezuela baut oder mit lokalen Pflanzenfasern für Papierherstellung experimentiert, so selbstsicher bewegt sie sich auf dem Parket der großen Metropolen. Sie ist Botschafterin und Mittlerin zwischen zwei Welten, deren Distanz durch die Geschwindigkeit immer größer zu werden scheint und uns doch, selbst im Verschwinden, so eigentümlich vertraut scheint.

Es steckt eine gewisse Wehmut in den Arbeit von Laura Anderson Barbata. Mit allem was geht, scheint auch ein kleiner Teil von uns zu gehen. Es liegt auch eine Sicherheit in der Vergangenheit oder vielleicht besser gesagt, in der Fiktion der Vergangenheit. Durch den Filter einer Ausstellung betrachtet, scheint Laura Anderson Barbata den Prozess der Auflösung zu einem Verweilen zu zwingen und gibt uns dadurch die Möglichkeit, einzelne Partikel für uns zu greifen und noch einmal zu einem Teil von uns werden zu lassen.

Daß diese Aussage nicht nur einen poetischen Kern hat, können wir uns pragmatisch an der Auswirkung des Verschwindens einer Sprache vergegenwärtigen. Mit jeder verschwindet das Wissen um Anwendung von Heilpflanzen oder Nutzung von von Stein, Erde oder Fasern im Haus- oder Gerätebau.

Vielleicht dient die Arbeit von Laura auch dazu, eine neue Perspektive zu entwickeln wie die Stärkung einer Landbevölkerung vorgenommen werden kann. Laura Anderson Barbata ergänzt mit ihrer Arbeit die unzählige Initiativen, die es auch in Stuttgart gibt. Herr Willi Hoss sei hier genannt, der sich seit vielen Jahren für den Erhalt des Regenwalds einsetzt, ökologische Gruppierungen, die die Klimaveränderungen beobachten oder der neue Direktor des Lindenmuseums für Völkerkunde, der, wie man mir berichtete, ebenfalls viele Jahre im Regenwald des Amazonas tätig war. Ich sage dies deshalb, weil oft die Kunst nur noch für sich selbst steht und per se einen Inhalt als Programm verweigert.

Hier arbeitet die Künstlerin anders. Sie verweist, sie zeigt an, sie ist poetisch, sie stellt sich Konflikten. Sie bezieht Position im Sinne einer Verantwortung. Dabei fordert sie nichts ein, stellt keine Bedingungen. Sie zeigt und interpretiert.

Sinn dieser Ausstellung ist, über die Inhalte der einzelnen Arbeiten hinaus, zu zeigen, welche Impulse von einer Stadt wie Mexiko-City ausgehen. Welche Lebendigkeit und künstlerische Vitalität heute in den Centren schwingen und wie aktiv auch Mexiko daran beteiligt ist.

Ich hoffe Sie stimmen mit den Veranstaltern überein, dass mit der Auswahl von Laura Anderson Barbata alle Interessen aufs Beste bedient wurden.

Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.

Peter Herrmann, im Juli 2001


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