Stuttgarter Zeitung vom 3.8.2002

Documenta 11 in Kassel

Presseseite der Galerie Peter Herrmann


Manche Galeristen erhöhen vorsorglich schon mal die Preise

Wer an der Documenta in Kassel teilnimmt, hat einen dicken Pluspunkt in der Vita - Garantie für einen rasanten Kurs- und Karrieresprung ist das aber noch lange nicht

Ungeduld machte sich breit und auch ein bisschen Ärger über die Geheimniskrämerei des Documenta-Chefs Okwui Enwezor. Bereits lange vor dem Ausstellungsstart am 8. Juni erging sich die Kunstwelt in wilden Spekulationen: Wer darf diesmal wohl dabei sein in Kassel? Als die Künstlerliste der Documenta 11 dann endlich auf dem Tisch lag, griffen die Presse, Funk und Fernsehen eilig zu. Auch Wirtschaftsmedien ließen sich die Kür der "künftigen Künstlerstars" nicht entgehen. Man riet zum schnellen "Schnäppchen", denn die Preise für Werke der Newcomer könnten schon bald kräftig anziehen.

Doch ein Blick auf den Markt zeigt, dass die Documenta-Teilnahme ganz und gar kein Garant für unverzügliche Kurs- und Karrieresprünge ist. Vom großen Run und einem allgemeinen Preispoker bei Werken der 118 Documenta-Künstler und -Gruppen kann nicht die Rede sein. Hier funktioniert der Kunstmarkt doch offenbar noch etwas anders als die Börse. So rechnen denn auch viele Händler eher langfristig mit Wertsteigerungen für Arbeiten ihrer mit den Kasseler Weihen versehenen Schützlingen. Etwa die Galerie Klosterfelde in Berlin, die den 37-jährigen deutschen Performance-Künstler John Bock vertritt. Von einem gewachsenen Kaufinteresse im Zuge der Documenta sei noch nichts zu spüren. Und die Preise für Bocks Kunst blieben seit Monaten stabil. Das Angebot reicht von der Zeichnung für 1000 Euro bis zur 50 000 Euro teuren Installation.

Auch in der Galerie Konrad Fischer, die mit Hanne Darboven, On Kawara, Manfred Pernice, Bernd und Hilla Becher gleich fünf Teilnehmer der Documenta 11 im Programm führt, sei es in Zusammenhang mit dem hessischen Kunstevent bisher noch nicht zu Preissteigerungen gekommen. Über die Auswirkungen auf die Nachfrage will die Düsseldorfer Galerie noch keine Aussagen treffen - die Ausstellung habe schließlich eben quasi erst begonnen. Bei den mit Spannung erwarteten Documenta-Künstlern aus Afrika halten sich Kaufinteresse und Preise ebenso in Grenzen. Die Münchner Afrika-Spezialistin Dany Keller bietet Zeichnungen von Frédéric Bruly Bouarbé nach wie vor für moderate 1600 Euro an. Die Kundschaft wisse, dass Bouarbé in Kassel ausstelle, doch der preistreibende Boom bleibe aus.

Kunst aus Afrika ist international seit einigen Jahren angesagt, doch im hiesigen Handel weiterhin schwach vertreten. Dass die gute Präsenz der Afrikaner bei der Documenta 11 viel für ihre Akzeptanz in Deutschland bewirken wird, bezweifelt Ulli Seegers vom Bundesverband Deutscher Galerien. "Ich glaube nicht, dass afrikanische Formen sich problemlos in den europäisch und nordamerikanisch geprägten Markt einspeisen lassen."

Etwas optimistischer ist Peter Herrmann. Der Berliner Galerist vertritt Pascale Marthine Tayou. Aufgrund der Documenta-Teilnahme habe er die Preise für Werke des Künstlers aus Kamerun leicht erhöht und bereits im Vorfeld der Großausstellung zwei Arbeiten an einen Sammler verkauft. Neue Interessenten konnte Herrmann allerdings nicht gewinnen - doch setzt er auf die Zukunft. In Sachen afrikanischer Kunst werde in den nächsten Jahren gewiss einiges passieren.

Das sind nur Spekulationen. Doch eines steht fest: Auch wenn der Aufstieg nicht in jedem Fall einsetzt und auf einen Schlag vonstatten geht, bietet die Documenta mit ihrem international außerordentlich hohen Ansehen ein einmaliges Forum. Für Sammler, Händler und Museen aus aller Welt gehört der Besuch in Kassel zum Pflichtprogramm - die Aussicht, den richtigen Leuten aufzufallen, dürfte für einen Künstler an keinem anderen Ort größer sein. Hinzu kommt das enorme Interesse der Journalisten. Nicht zuletzt die Resonanz in den Medien mache die Documenta so wichtig, meint Ulli Seegers vom Bundesverband deutscher Galerien. Eine Teilnahme in Kassel gehöre deshalb sicherlich zu den Topnotizen in der Künstlerbiografie. Sie ist aber nur ein einziger, wenn auch dicker Pluspunkt in der Künstlervita. Zum internationalen Durchbruch braucht es oft mehr. Glück beispielsweise, einen guten Händler und gekonnte Vermarktung. Nicht ohne Grund werben Galerien lauthals mit den Kasseler Ehren ihrer Künstler.

Die Chance ist da und will genutzt werden. So hat die Rückschau auf bald fünfzig Documenta-Jahre neben etlichen Künstlern, die nach dem Auftritt in der Versenkung verschwunden sind, nicht wenige Erfolgsgeschichten zu bieten. Linde Rohr-Bongard kennt sie bestens, dank eingehender Recherche. Seit 1970 erarbeitet die Kölnerin den "Kunstkompass" des Wirtschaftsmagazins "Capital" - ein Ranking zeitgenössischer Größen, das den Künstlerruhm auch mit marktwirtschaftlichen Absichten zu messen sucht.

Aus einem Jubiläumsband, der die letzten dreißig "Kompass"-Jahre überblickt, geht Joseph Beuys als absoluter Spitzenreiter hervor, seit 1979 führte er mit großem Vorsprung sieben Jahre lang die internationale Ruhmesrangliste an. Und Rohr-Bongard schreibt diese Topposition nicht zuletzt den legendären Documenta-Auftritten des Meisters zu. Fünf Mal in Folge war Beuys bis zu seinem Tod 1986 in Kassel dabei, und wiederholt nutzte er die bedeutende Bühne für spektakuläre Darbietungen. So installierte Beuys 1972 auf der Documenta 5 das Büro der "Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung", um dort persönlich mit den Besuchern zu diskutieren. Fünf Jahre darauf präsentierte er seine "Honigpumpe am Arbeitsplatz" als Modell für menschliche und gesellschaftliche Kreisläufe. Und bei der Documenta 7 machte der Künstler Furore mit der spektakulären Pflanzinitiative namens "7000 Eichen" - es war die wahrscheinlich größte Kunstaktion in Deutschland.

Noch unmittelbarer als bei Beuys zeichnet sich der Documenta-Effekt in Louise Bourgeois" Laufbahn ab. Die in New York lebende Französin wurde 1992, im stolzen Alter von 81 Jahren, erstmals nach Kassel geladen. Zuvor allenfalls Insidern bekannt, stürmte die alte Dame beim Documenta-Debüt mit dem begehbaren Holzfass "Precious Liquids" über Nacht zum internationalen Gipfel. Bei der laufenden Documenta ist Bourgeois wieder zugegen mit Zeichnungen und Beispielen aus ihrer Werkgruppe der "Cells". Der Kölner Galerist Karsten Greve hatte ein Exemplar dieser seit 1985 entstehenden Käfig-Installationen bei der letzten "Art Cologne" für den stolzen Preis von 1,3 Million Mark zum Kauf geboten. Wie auf dem Markt, so hält die Einzelgängerin auch in der globalen Ruhmesliste des "Capital"-Künstler-Rankings ihre gute Position - 2001 belegte sie Platz sieben.

Auch die aktuelle Nummer eins im "Kunstkompass" kann Kassel danken. Denn ob Sigmar Polke auch ohne die Documenta eine solche Bombenkarriere hingelegt hätte, steht in den Sternen. Auch für Erhard Klein. Der Galerist aus Bad Münstereifel erinnert sich noch genau, wie er 1982 mit dem Londoner Kunstmogul Charles Saatchi in Kassel auf der Treppe hockte und ruck, zuck innerhalb von nur zehn Minuten acht Polke-Bilder verkaufte. Die Neuigkeit, sagt Klein, habe sich in Windeseile verbreitet: "Saatchi hat groß zugeschlagen!" Und mit einem Mal war Polke in aller Munde. Seither scheut der Kölner Malerstar die Documenta. Klein weiß, warum: "Für den wilden Mischmasch der Gruppenausstellung hat Polke nichts mehr übrig." Der Maestro spart seine Kräfte lieber für Solovorstellungen.

Von Stefanie Stadel

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