Galerie Peter Herrmann
 

Rede zur Ausstellung Thanks for Inspiration - eine Hommage an Lou Reed

Die Betrachtung einer Generation der Malerin Marie Pittroff, interpretiert von Peter Herrmann

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Galerie,

Beim Schreiben einer Rede ist immer der Anfang und das Ende schwierig. Wen begrüße ich wie? Wie baue ich den Stil auf? Freundschaftlich persönlich oder sachlich steif? Wieviele Besucher werde ich ansprechen?

Zur letzteren Frage wußte ich schon vorher, daß die Formulierung "zahlreich" passen wird. Ich freue mich also, daß Sie so zahlreich erschienen sind und ich freue mich auch, daß sich das Publikum aus so unterschiedlichen Bereichen zusammensetzt.

Dies hat sicherlich damit zu tun, daß wir eine nicht ganz alltägliche Kooperation eingegangen sind und eine klassische Ausstellung mit einer Veranstaltung gekoppelt haben. Art meets Party.

Für einige unter Ihnen spielt auch die Neugierde auf meine neuen Räume eine Rolle. Als Herr Nothelfer, mir den Vorschlag zur Übernahme eines Teils seiner Galerie machte, freute ich mich aus mehreren Gründen. Neben solch einer renommierten Galerie platziert zu sein, kann geschäftlich nur von Vorteil sein. Daß Herr Nothelfer mein Programm als belebende Nachbarschaftskomponente einschätzte, empfand ich als Kompliment. Daß dieser Teil der Uhlandstrasse mitten in einem der zwei kulturellen Berliner Epizentren angesiedelt ist, steigert meine mediale Wahrnehmung und daß in diesen Räumen schon das Beste hing was die Kunst zu bieten hatte, bezeichne ich als gereifte Patina.

 

Das Ausstellungsthema der Galerieeröffnung selbst hat eine hohe Attraktivität. Höher als die Künstlerin und ich vor einigen Jahren ahnen konnten. Mehrere Ausstellungen zu Andy Warhol hier in Berlin verwiesen bereits auf The Factory, die Aufbruchstimmung der sechziger Jahre und die turbulente Experimentierfreudigkeit der Siebziger. Velvet Underground ist auch den noch jüngeren unter uns ein markanter Begriff. Untrennbar damit verbunden ist der Name Lou Reed.

Um den Zeitgeist des ausgehenden Jahrtausends zu interpretieren, schien der Malerin Marie Pittroff der Musiker und Songwriter der geeignetste zu sein. Eine schillernde, erfolgreiche Persönlichkeit, der die Zerissenheit eine Epoche in seinem Wesen spiegelt.

 

Wie die Künstlerin selbst hat auch er eine literarische Herkunft, die sich unzweideutig in der Arbeit zeigt.

Aktuell das Thema auch deshalb, weil er das nachdenkliche Amerika zeigt, das widersprüchliche und Facettenreiche. Er beschreibt die schmutzigen Seiten und die Tragödien ebenso wie urbane Stilleben und witzige Begenheiten des Alltags. Lou Reed besingt Junkies, Freaks, Underdogs. Er durchläuft den Glimmer und Glamour, er wirft alle selbstgestapelten Bauklötzchen wieder über den Haufen und preist das Prinzip des Wiederanfangs. Von schräg und provokant, über kommerziell zu intellektuell zeigt er sich als Geschäftsmann ebenso wie als unbestechlicher künstlerischer Interpret.

 

Aktuell das Thema auch deshalb, weil er Das Andere Amerika verkörpert. In Zeiten in denen weltweit und sehr verständlich Abneigung und Haß auf eine rücksichtslose und nur auf ihren eigenen Vorteil bedachte amerikanische Politik wächst, verweist er auf das individuelle und rettet viele von uns aus platter Pauschalisierung.

Noch im kalten Krieg schaffte es Lou Reed die schier unüberwindlichen Grenzen zu unseren sozialistischen Nachbarn zu unterlaufen. Er ist einer, dessen Dialektik den intellektuellen Anspruch einer Ostszene bedienen konnte und der als integre Persönlichkeit eine sehr verbindende Wirkung hatte - ohne diesen Anspruch je im Schilde zu führen. Seine Freundschaft zu Vazlav Havel hat einen hohen symbolischen Wert und steht für eine Komponente der Geistigkeit, die optimistisch gegen martialische Dummheit kontrastiert.

 
Aktuell das Thema auch deshalb, weil er mit seinem infernalischen Industrielärm mehrerer am Amplifier rückgekoppelter Gitarren ganz nebenbei die Neue Musik bediente und vor wenigen Tagen mit seinem Projekt Metal Machine Music ein Featuring mit Zeitkratzer hier in Berlin inszenierte. Volles Haus und stehende Ovationen. Ich hatte vorher nicht geglaubt, daß ich die ganze Veranstaltung durchstehen würde. Es war eines meiner eigentümlichsten kulturellen Erlebnisse.
 
Doch zurück in die Galerie und zu den Highlights des heutigen Tages. Eine Bildinstallation von Marie Pittroff, die geschlossen im hinteren Teil der Galerie einen eigenen Raum füllt, zeigt eine Portraitserie mit unterschiedlichen Motiven verschiedener Lebensabschnitte von Lou Reed. Jedes der elf Portraits der Installation besteht aus zwei malerischen Feldern mit je 40 x 40 cm. Eines davon zeigt in klassischer Ölmalerei ein Portrait, das zweite ist eine blaugraue monochrome Farbfläche. Die ungewöhnliche Hängung über Kopfhöhe läßt den Künstler Reed auf uns herabblicken. Er ist die Zeit, zu der wir aufschauen. Er ist die Generation, er ist das Altern und er ist Metapher für Veränderung.
 

Mit einer melancholischen Ruhe in der Bildstimmungen und einer stilistisch sicheren Ausführung der Maltechnik spielt Marie Pittroff mit verschiedenen Momentaufnahmen, Facetten und öffentlichen Personas des rätselhaften, widersprüchlichen, aber immer selbstironischen Künstlers Lou Reed. Im selben Zuge führt uns Marie Pittroff über die Betrachtung Lou Reed's als Individuum hinaus und ehrt ihn exemplarisch als Zeitvertreter, weshalb die Bilder nicht chronologisch sondern scheinbar wahllos gehängt sind.

Einen weiteren Teil der Ausstellung bildet ein Zyklus von fünf mittelformatigen Bildern über New York. Die Stadtlandschaften bilden einen Stimmungshintergrund und führen uns weg von der stellvertretenden Person. Entmenschlicht zeigt sich uns eine nackte Architektur, deren reduzierte Melancholie mit seltsam ähnlicher Wirkung spielt wie die Bilder Edward Hoppers.

 

Auch bei Maries Stadtbilder scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Ein leichter Smog, durch den sich die Sonne kämpft. Das Licht eines neubeginnenden Tages modelliert die Leere des Anfangs, das diesige Abendlicht markiert Ende mit langen Schatten. Durch die Entnahme der lebendigen Gegenstände als flüchtige Bestandteile einer fotografischen Vorlage gibt uns Marie Pittroff die Möglichkeit, durch vielfältige kleine Farbflächen ungestört eine kompositorische Bildwirkung zu assoziieren.

Dominant im Raum hängen zwei grossformatige Ganzportraits von Lou Reed als Dyptichon. Der stehend agierende junge Musiker links, der sitzende, nachdenkliche Lou Reed rechts. An diesem Punkt der Vorbereitung meiner Rede angelangt, mußte ich regelrecht meine Hände binden um nicht Passage für Passage nur über dieses Dyptichon einzuhämmern. Die Betrachtung fördert so viele gedankliche Verkettungen zu Tage, daß sie schon alleine einen eigenen Artikel ergeben würden. Ich überlasse Sie deshalb uninterpretiert ihrem "Betrachtungsschicksal" dieser Arbeit, die ohne Zweifel eine Schlüsselrolle im Werk Pittroffs einnimmt.

 

Bevor ich zu den weiteren Künstlern dieser Ausstellung komme die Marie als Gäste für ihre Einzelausstellung wollte, möchte ich noch einen Gedanken ausskizzieren, der Ihnen die vielfältigen gedanklichen Grundlagen dieser Ausstellung näher bringt.

Mit "Songs for Drella" von 1990 zeichnete der Lakoniker Lou Reed in Text und Musik ein intimes Portrait des Malers Andy Warhol, seinem Mentor und frühen künstlerischen Haupteinfluß. Reed nutzt dieses Portrait erweiternd und schildert einfühlsam und genau Unsicherheiten, Ängste und Einsamkeit eines Künstlers. Dies wurde für die Malerin Marie Pittroff zum Ausgangspunkt ihres malerischen Projektes. Sie porträtiert den Porträtierer Reed und interpretiert ihn Kreis schließend aus dem Blickwinkel der Bildenden Kunst. Die Ausstellung beleuchtet ineinander übergreifende Sparten der Kunst und ihren Einfluß auf eine Generation. Die dominanten Stränge heissen Literatur, Musik und bildende Kunst.

 

In der Tradition der alten Meister arbeitet Marie Pittroff in der Technik der Lasurmalerei mit Öl auf Leinwand. Schicht auf Schicht wird hauchdünn die Farbe gelegt. Bis die jeweils aufgebrachte Farbe angetrocknet ist, arbeitet sie parallel an zwei, drei anderen Arbeiten. So ergibt sich, daß sie an wenigen Arbeiten viele Monate arbeitet. Jedes Werk ist so ein zeitlos aufwendiges Meisterwerk. Um Ihnen den Aufwand der vergegenständlichten Arbeit aufzuzeigen - für die jetzige Ausstellung arbeitete Marie hochkonzentriert fast zwei Jahre.

Sehr zu unserer Freude etablierte sich die neue realistische Malerei wieder neu in der Wahrnehmung der Kunstliebhaber. Die letzten zwei Jahre steigt die Nachfrage nach den Bildern von Marie Pittroff spürbar. Zwei Arbeiten der Künstlerin finden sich bereits in der Sammlung der Baden-Württemberg Bank in Stuttgart und in mehreren Privatsammlungen in Süddeutschland und Frankreich.

 

Da das Werkkonzept über den Hauptakteur Lou Reed wie schon beschrieben hinausgeht und einen Querverweis auf Künstlerkollegen bietet, spiegelten wir diesen Inhalt in der Ausstellung wieder. Ergänzt wird deshalb die Ausstellung durch Beiträge der Künstlerin Nicole Guiraud und des Künstlers Jean-Luc Cornec.

Wie Marie Pittroff arbeiten Beide im Raum Frankfurt und waren mit ihr schon in mehreren Ausstellungen in Frankreich und Deutschland gemeinsam zu sehen. Den regelmäßigen Besuchern meiner Galerie ist die in Algier geborene Nicole Guiraud schon lange ein Begriff. Ihre Objekte aus der Serie "Die Welt im Einmachglas", die gemeinsame Installation "Algier" mit Marie, Ihre Kofferinstallation der Tourneeausstellung "Grenzenlos", ihre Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Künstler Vollrad Kutscher, ihre Präsenz in der berühmten Fluxussammlung des Ehepaars Berger und eine große Arbeit in der Sammlung der Dresdener Bank in Frankfurt sowie zwei prämierte Kurzfilme sind die äußeren, bekannten Parameter bei der Beschreibung der Person Nicole Guiraud.

 

Für die jetzige Ausstellung suchte sie einige frühere Arbeiten aus und erstellte noch einige ganz aktuell. Mit humorvoll bissigen Verweisen nimmt sie Bezug auf einen anderen Aspekt Amerikas. Ein Batman klatscht sich die Fresse am Glasrand auf, Supermann kocht sich die Welt, Minni Maus hat ihre Tage, und eine Madonnenfigur wiegt das Mickeykindlein in den Armen.

Jean-Luc Cornec stellte eine seine Arbeit "Relovers" zur Verfügung. Als Wortspiel konzeptionell angelegt, verweist Cornec auf die Widersprüchlichkeit und Gegensätzlichkeit einer amerikanischen Doppelmoral und gibt einen Hinweis auf eine daraus resultierende Propaganda.

  Die Künstler

Marie Pittroff. 1952 in Strasbourg, Frankreich geboren. Studium der Literaturwissenschaften. Anschließend mehrjährige universitäre Praxis. Danach Studium der bildenden Kunst. Seit 9 Jahren freischaffende Malerin. Seit mehreren Jahren arbeitet sie an dieser Ausstellung. Der Gedanke ist, mit dem Geburtstag von Lou Reed, den Geburtstag einer Generation und ihrer Einflüsse zu feiern. Dokumentation TV-Preview der Ausstellung. Mehrmals gesendetes, 4,5 Minuten langes Portrait der Künstlerin Marie Pittroff, März 2002, SWR-3, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

  Nicole Guiraud In Algier 1946 geboren. Studium an der Kunstakademie Montpellier. Frühe Kontakt mit Pop-art und moderner deutscher Kunst. Lyrik, Fotomontagen, Objekte und Installationen sind die Ausdrucksmittel. Inhalte sind inter-kultureller Austausch und spartenübergreifende Zusammenarbeit.
 

Jean-Luc Cornec 1955 in Lannilis, Frankreich, geboren. Studium an der Ecole des Beaux-Arts in Nantes. Danach u.a. Kunstakademie Düsseldorf bei Fritz Schwegler und Stipendium in Moskau. Objekte und Rauminstallationen.

Alle drei sind Mitglieder der Frankfurter Gruppe inter.art

 
Die Veranstaltung im 90 Grad
Art goes Party.
Statt des gewohnten Restaurantbesuchs nach der Eröffnung hatten die Besucher die Möglichkeit zum Besuch des bekannten Berliner Clubs. Britt Kanja arrangierte zu dem dort sonst üblichen Programm ein Passungen zu unseren Inhalten. Musik und Videoprojektion waren abgestimmt auf Zeit und Strömungen.

Die Galeriebesucher erhielten ein Ticket für freien Eintritt und konnten feiern bis in die Morgenstunden. (Was viele sehr ausgiebig genossen).

Verkaufsdetails
Eine Bildinstallation von elf Portraits 40 x 40 und das jeweils dazugehörige monochrome Feld werden geschlossen angeboten. Zwei Paare des selben Formats können einzeln erstanden werden. Fünf Stadtlandschaften New York's werden einzeln, zwei grossformatige Ganzportraits von Lou Reed werden als Dyptichon verkauft. Für eine anschließende zweimonatige Ausstellung in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz in Mainz muß die Ausstellung komplett noch einmal zur Verfügung gestellt werden. Für eine noch nicht im Detail geklärte weitere Ausstellung in Stuttgart wäre die bereits verkaufte Arbeit als Leihgabe sehr erwünscht.

Peter Herrmann
März 2002

 
Herr Gregor Scholl vom legendären Rum-Trader am Fasanenplatz kredenzte zwei Cocktailvarianten. Rechts daneben Doris Peckhaus und Peter Herrmann
 
Von links nach rechts:
Jean-Luc Cornec, Nicole Guiraud, Marie Pittroff und der Galerist.
 

top