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Afrikapost 4/ 2007
 
Diskussion über afrikanische Kunst und ihre Verlagerung in die Kunstgeschichte, publiziert in der Afrikapost 3/ 2007 und 4/ 2007
 
Stefan Eisenhofer: Für eine Dekolonisierung der Blicke



 

Für eine Dekolonisierung der Blicke
Stefan Eisenhofer

Der berühmte nigerianische Kunsthistoriker Rowland Abiodun kaufte sich vor einigen Jahren eine Sofortbildkamera, um Fotos von sich und seiner Frau zu machen. Während sich seine hellhäutige Gattin jedoch tadellos fotografieren ließ, erschien er selbst stets nur als Silhouette . Es hätte geholfen, wenn ich gegrinst hätte – dann hätte ich wenigstens meine weißen Zähne sehen können stellte Abiodun schmunzelnd fest, denn viele Jahre lang definierte mich diese Kamera ästhetisch und kulturell in den Kategorien der Weißen“.

Diese Geschichte kann als Gleichnis für den vorherrschenden westlichen Umgang mit der sogenannten traditionellen afrikanischen Kunst dienen. Denn bis heute bestimmen abendländische Kategorien, Vorlieben, Modelle und Moden den Umgang mit den afrikanischen Dingen. Schon allein die Kategorisierung afrikanische Kunst“ ist ja alles andere als unproblematisch. Zum einen sind abendländische Konzepte und Auffassungen von Kunst“ in vorkolonialen afrikanischen Gesellschaften kaum zu finden. Zum anderen ist das, was von weitem als afrikanisch“ klassifiziert wird, kein monolithischer Block. Denn dazu werden die unterschiedlichsten ästhetischen Traditionen mit den verschiedensten kulturellen, religiösen, sozialen und politischen Hintergründen oft sehr undifferenziert auf einen Nenner gebracht. Westliche Blicke sehen eben gerne eher das Gemeinsame anstatt der in der Regel nicht unerheblichen Unterschiede in und hinter den Werken. Unterschiedliches eingeebnet wird auch, wenn beispielsweise figürliche Schnitzereien aus verschiedensten Regionen Afrikas pauschal entweder als Fetisch- oder als Ahnenfiguren klassifiziert werden, ohne dass man sich allzu sehr um die Entstehungs- und Verwendungshintergründe der jeweiligen Werke schert. Noch drastischer wird es, wenn westliche Kunstliebhaber von der Ursprünglichkeit afrikanischer Kunstwerke sprechen und damit Klischees von einem statisch-geschichtslosen Kontinent bedienen und dabei alle Entwicklungen, Brüche und wechselseitigen Kulturkontakte auf diesem Kontinent ausblenden.

Die entscheidende Frage in dieser Situation ist daher meines Erachtens nicht, ob die Auseinandersetzung mit afrikanischer Kunst zukünftig im Wesentlichen von der Ethnologie oder von der Kunstgeschichte geleistet werden soll. Viel drängender ist vielmehr die Dekolonisierung der westlichen Blicke auf die afrikanische Objekte und ein respektvollerer Umgang mit ihnen sowie den Lebens- und Denkwelten dahinter. Weg vom kolonialen Blick - hin zu postkolonialen Sichtweisen, dies sollte der Fokus einer afrikanischen Kunstgeschichtsschreibung sein.

Die Ethnologie als Wissenschaft vom Kulturell Fremden“ kann dazu durchaus ihren Beitrag leisten. Sie ist prädestiniert dazu, Respekt vor fremder Kunst zu fördern. Dazu gehört freilich auch, fremde Dinge“ als zunächst fremd zu akzeptieren und wahrzunehmen, anstatt vorschnell ausschließlich eigene Konzepte über diese zu stülpen. Denn diese Objekte entstammen in der Regel völlig anderen Lebenswelten, Wahrnehmungs- und Denksystemen sowie ästhetischen Traditionen, sie beruhen auf unterschiedlichsten Welt- und Menschenbildern. Doch noch immer findet viel zu wenig Auseinandersetzung statt mit beispielsweise nicht-westlichen Abbildungstraditionen, mit Konzeptionen von Porträt und Kopie, mit dem Selbstverständnis von Künstlern und der Rolle der Auftraggeber, mit der gesellschaftlichen Stellung und den Lebenswelten der Künstler, mit wechselseitigen Beeinflussungen von Künstlern aus unterschiedlichen Regionen, über den individuellen Spielraum von Künstlern innerhalb überlieferter Traditionen oder mit Ideen über die Herkunft künstlerischer Inspiration und Kreativität. Diese Vorstellungen sollten in unseren postkolonialen Zeiten endlich ernst genommen und ein vorschnelles Überstülpen westlicher Konzepte über fremde Objekte in unserer globalisierten Welt als nicht mehr zeitgemäß verabschiedet werden.

Wünschenswert wären daher einerseits tiefgehende Studien vor Ort in Afrika, um mehr über dortige Lebenswelten, Weltbilder und einheimische Ideen von Ästhetik zu erfahren - und darüber, was Menschen außerhalb der westlichen Welt bewegt und bewegte. Denn Afrikaner selbst kommen in den Diskursen über afrikanische Kunstgeschichte meist wenig zu Wort. Und wenn, sind gerade auch viele Studien in der Kunstforschung von mangelhafter Methodik vor Ort und fehlender Kenntnis über die Mechanismen von mündlichen Überlieferungen geprägt. Denn das Bewusstsein über die Interessen der Akteure vor Ort, das Erkennen des eigenen und des fremden Standpunktes ist für angemessene Einschätzungen des Erfahrenen unerläßlich. Es stellt daher ein großes Manko dar, dass beispielsweise in vielen Studien über die Geschichte des Reiches Benin im heutigen Nigeria noch immer weitgehend unreflektiert die Sicht der Vergangenheit, die vom gegenwärtigen Königshaus vertreten wird, als tatsächliche und einzig wahre Geschichte behandelt wird, ohne die damit verknüpften Interessen wahrzunehmen, während alternative und auch oppositionelle Sichten von Vergangenheit nicht berücksichtigt werden. Den dortigen Menschen wird so eine bewusste Rolle als selbstbewusste Akteure in der Interpretation der Vergangenheit als Mittel zur Gestaltung und Bewältigung der Gegenwart abgesprochen.

Neben verstärkten Studien vor Ort, bei denen einheimische Sichtweisen und Konzepte eruiert werden müssen, könnten vor allem aber ethnologische Museen gerade auch in Deutschland in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Denn hier verfügt man über gesichert dokumentierte Eingangsdaten und häufig auch über verläßliche Alters- und Herkunftsangaben. Diese Schätze in den Museen könnten Grundlage einer wirklichen Kunst-Geschichts-Schreibung sein und zudem einem statischen Bild afrikanischer Kunst entgegenwirken. Denn hier findet man Bestände, die nicht nur wenige Jahre oder Jahrzehnte, sondern bisweilen sogar Jahrhunderte zurückreichen. Damit könnten verlässliche Fixpunkte und Daten erarbeitet werden, die den existierenden Behauptungen, Ahnungen, Schwärmereien und Verteufelungen entgegengesetzt werden könnten, die weite Bereiche von Ausstellungsbetrieb und Kunstmarkt dominieren.

Um fremde Phänomene besser einordnen zu können ist allerdings auch die Kenntnis des Eigenen unerlässlich. Und hier ließen Kooperationsprojekte zwischen der Ethnologie mit der Kunstgeschichte, deren Methoden oft vielerprobt und ausgefeilt sind, einiges erwarten. Nicht zuletzt auch, weil viele tatsächliche und vermeintliche Erkenntnisse über afrikanische Kunst auf Modellen westlicher Kunst basieren, ohne dass die Urheber sich dessen bewusst sind. Ein kompetenterer Umgang mit dem vielseitigen kunsthistorischen Instrumentarium westlicher Kunstgeschichtsforschung wäre daher auch für Afrika lohnend.

Notwendig ist daher die Entkolonisierung der afrikanischen Kunstgeschichtsschreibung durch beide Disziplinen – durch Ethnologie und Kunstgeschichte. Gebraucht werden selbst- und fremdbewußte Forscher, die gerade auch in unseren postkolonialen Zeiten nicht vorschnell eurozentrisch westliche Konzepte über afrikanische Werke stülpen, die in der Regel völlig anderen Welten, ästhetischen Traditionen, Denksystemen, Lebens- und Vorstellungswelten entstammen. Diese von innen heraus zu verstehen suchen, diesen fremden Lebens- und Kunstwelten nachzuspüren - und sie dann mit den eigenen angemessen in Beziehung zu setzen: Das wäre eine umfassende afrikanische Kunstgeschichte von zwei Seiten - eine Kunstgeschichte mit Außen- und Innensichten.

 



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