Rede von Peter Herrmann anläßlich der Eröffnungsveranstaltung am 8.9.1998 zu den Arbeiten von Thomas Weber. Ein wenig
von allem.
Der Künstler Thomas Weber kann sicher als einer der Stuttgarter Künstler bezeichnet werden, die stetig und unaufhaltsam von sich reden machen. Geboren 1958 in Ettlingen, Baden. 1982-1987 Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Prof. Rudolf Schoofs. Seit 1987 als freischaffender Künstler tätig. In unserer Ausstellung hier zieht Thomas Weber alle Register seines Könnens. Seine neue Installation Mobilmachung ist zu sehen. Ebenso wie seine Zeichnungen, die er unnachahmlich mit Buntstiften auf Postkartengröße fertigt. Eine sperrige Lokomotive füllt den Galerieraum. Daneben kontrastieren geheimnisvolle Stelen aus Terrakotta. Wie die Zeichnungen und die Skulpturen ist auch die Malerei speziell für unsere Ausstellung konzipiert. Mit dieser Ausstellung soll die Vielseitigkeit des Künstlers betont werden, ein wenig von allem eben. An dieser einleitenden Stelle vielleicht unüblich, aber deshalb um so interessanter mein eigenes Erleben der Arbeiten von Thomas Weber über die Zeit. Vor einigen Jahren in Kirchheim, oder in der Galerie der Stadt Fellbach, immer stand ich vor den Arbeiten und dachte - HÄ. Zu keiner Wertung fähig, Erstaunen, eine gewisse Form der Hilflosigkeit. Was soll denn das ? Ich, der ich mit einem Teil meiner Vergangen-heit aus dem Handwerk und der Innenarchitekur kam, Minimalismus in der Kunst durch eigene Arbeiten völlig anders für mich interpretierte, hatte zu Beginn der Auseinandersetzung mit Webers Arbeiten große Schwierigkeiten. Objekte, für den Raum bestimmt, mit groben Kanten, widerborstig. Im Freien auf-gelesene Holzmaterialien, billigste Qualität vortäuschend, mit Spax-Schrauben zusammengewürgt und in Passung gezwungen. Eine morbide Farbigkeit mit der Patina von Slums. Labyrintische Zugänge, ausgesägt ohne Vorzeichnung. Doch dann in Fellbach am Ende der Ausstellung die Befreiung, ein früherer Kollege, schon lange nicht mehr gesehen, mittlerweile Innenarchitekt, reagierte auf meine tiefsitzende Spax-Aversion mit dem Satz "es sei für ihn erfrischend, daß gerade nicht die Perfektion des Materials im Vordergrund stehe, der Reiz für ihn liege in der Konsequenz der Abweichung". Und dann passierte noch folgendes. Die sperrigen Kisten an der Wand, Maquetten, in denen das Auge etwas sucht und immer nur versteckte Fragezeichen vorfindet, gruben sich in meine Erinnerung. Da saßen sie nun fest und unauslöschlich - und ich fragte mich wieder, wieso dies nun geschehen konnte. Wie eine Melodie, die mit irgend etwas in Zusammenhang steht und plötzlich da ist, sehe ich bestimmte architektonische Bogenformen und denke an eine Weber-Kiste. Ich sehe ein normales Vogelhäuschen, denke an Thomas Weber, besuche den Künstler im Atelier und sehe tatsächlich bei ihm Vogelhäuschen. Welche die aussehen wie selbige aber wieder eine typische Handschrift tragen. Selbst wenn Thomas Weber ein Vogelhäuschen baut, hat es seine Melodie oder seine Handschrift.
Dieser ganz eigene Stil zieht sich durch. - zum Beispiel hier, die neueste Arbeit :
Die Lokomotive TW 98 Thomas Weber sah lange Zeit von seinem Nebenerwerbsarbeitsplatz aus auf einem Spielplatz eine Lokomotive. Gleiche Farben, gleiche Dimensionen. Geglättet, gerundet, abwaschbar. Wie auf diesen Fotos dort. Da alles gesichert vorbereitet, quasi vorgekaut zum Verbrauch überlassen wird, senkt sich der Pegel der Aufmerksamkeit gegenüber dem Material, ein Unfallrisiko steigt. Wir treffen hier auf ein Verhaltensphänomen unserer Gesellschaft, das unglaublich viele Bereiche durchzieht. Der Fußgänger, der ohne den Blick zu heben in bizarrem Vertrauen auf den Zebrastreifen prescht. Wo ein gedrucktes Gütesiegel der bedingungslose Garant für scheinbare Qualität wird. In Vertrauen auf den sicheren Reifen im Nebel 150. Beliebig fortsetzbar. Ein Anreiz für Thomas Weber. Mit Seiner Lokomotive zieht Thomas Weber den Blick auf diese eigenartige Zeiterscheinung. In seinem auch hier leicht zu erkennenden, typischen Stil betont er etwas Kindhaftes - und doch erschreckt er das Auge. Gefährliche Spitzen, abweisende Kanten, die Oberflächenverarbeitung nur auf den ersten Blick ungewohnt perfektionistisch, aber dennoch roh aus der Nähe. Bunt. Ein mögliches Spielzeug, erst im zweiten Blick offenbart sich Hintergründlichkeit. Vermeintliche Sicherheit als Störfaktor. Ein Appell von ihm für aufmerksamen Umgang und für ein gesundes Verhältnis zu den Dingen an sich. Hoffentlich bringt ihn niemand mit Kinderfeindlichkeit in Zusammenhang wünschte sich Thomas Weber in einem unseren Gespräche, nur weil er die Spielzeugmetapher als am besten geeignet sah.
Die Installation Mobilmachung, sie entstand aus einer Weiterentwicklung der Kästen, von denen Sie hier eine auserlesene Wahl sehen. Diese Installation mag ich mindestens genauso wie der Künstler selbst. Sie beschreibt einen dynamischen Prozeß. Vordergründig sichtbare Willkür beißt sich mit dem Gefühl eines perfektioniert Gewolltem. Wie gestanzter Industrieabfall zeigt sich das Bauholz. Latten statt Eisen. Bretter stehen steif, starr, sperrig. Sind dennoch transparent, scheinen leicht. Sie erinnern an metallig Gesehenes, sind es aber nicht. Aus dem statisch an der Wand gelehnten, sägte er Scheiben die bei aller Nachvollziehbarkeit des Arbeitsvorganges irgendwie herausgepurzelt aussehen. Aus dem stehenden, liegenden Brett erfindet er für sich neu das Rad. Quirlig, wie zufällig auf fast schon sichtbare Bewegung vorbereitet. Er möchte die einzelnen Teile als visualisierte Geschwindigkeit verstanden wissen - Punkt für Punkt für Punkt. Im ästhetischen Erscheinungsbild der Installation entsteht eine Ornamentik, die wie überall in anderen Arbeiten zu finden ist. Die Arbeit hat keinen historischen Bezug, sie ist die Dynamik des Jetzt. Sie werden die Zusammenhänge in Bälde noch besser erfassen, die innewohnende Kraft dieser Installation puscht den Galeristen in angenehmster Weise. Nomen est Omen ! Mobilmachung.
Zu den Terrakotten : Die Teile dieser Skulpturen wurden direkt in der Fabrik gefertigt. Thomas Weber entnimmt die Steine dem Fließband und bearbeitet das noch frische Material vor Ort. Er addiert eine Verbindung organischer Strukturen zu der technischen Struktur die den Stein umgibt und brennt erneut. Es entsteht auch hier eine schwer faßbare Widersprüchlichkeit von Organik und Technik.
Postkarten Immer wieder Ambivalenz. Diesmal in einer Menge von 462 Postkarten mit Buntstift gezeichnet. Gereiht, abstrakt, abstrakt alphabetisch, belebt, figürlich, statisch - immer von der Grundform des Quaders ausgehend. Hier zeigt sich - ich versichere Ihnen, nur in Ansätzen -, die endlose Phantasie des Zeichners Thomas Weber mit seiner originären Sprache. Wie ein abstrakter Comic lesbar, mit Brüchen und doch als rationale Folge. Paarbeziehungen entstehen und lösen sich. Fast schade, daß man einzelne Postkarten aus der Reihung kaufen kann und damit das Gesamtwerk, entstanden für die jetzige Schau, wieder auseinandergenommen wird. |
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