Rede zur Ausstellung des kubanischen Künstlers Raúl de Zárate in der Leipziger Spinnerei August 2001

Umstände

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstinteressierte,

wie sie vielleicht über die Vorankündigung gelesen haben, bin ich ein Galerist aus Berlin, auch wenn ich mich, wie Sie im Folgenden bemerken können, nicht so anhöre.

Raúl de Zárate hat mich weniger wegen meiner Eigenschaft als Berliner oder Geschäftsmann gebeten diese Laudatio zu halten, sondern wegen der Überschneidung eines Themenkomplexes auf den er in einem gemeinsamen Gespräch aufmerksam wurde.

Wie jeder gute Galerist versuche auch ich, die Inhalte der Künstler mit denen man arbeitet in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Da ich mit Künstlern aus den Peripherien der ganzen Welt arbeite, erlebe ich mit ihnen, wie sie Ziehen und wohin das Schicksal sie spült.

Von Algerien nach Frankreich, von Ghana nach Deutschland, von Nigeria nach USA, von Burkina Faso nach Brasilien. Freiwilliges Suchen, Glücksrittertum, materieller Notstand, unerträgliche Repressalien und Flucht vor dem Tod sind die gängigsten Beweggründe, einer Gegend der man heimatlich verbunden ist, den Rücken zu kehren.

Verschieden Berufsgruppen sind im Besonderen allen diesen Varianten ausgesetzt. Der moderne Künstler wird im Kulturgetriebe durch die Metropolen geschleust und hat sonst kaum eine andere Möglichkeit, einen Sonnenplatz im Getriebe zu bekommen. Ob Literat oder Maler, nur eine Präsenz in der Metropole sichert im Aufmerksamkeit. Sie sind die Widerspiegler, die Seher, die Interprätatoren, die Deuter. Folglich nochmals prädestiniert für die verbleibenden anderen Motive. Sie sind weltweit immer die ersten, die man in unbequemen Situationen loswerden möchte. Ein geradezu antikes Problem.

Unverkennbar und auch in großen Lettern, um im Vorfeld jedem Mißverständnis vorzubeugen, steht bei Raúl de Zárate "Exil" Ein großes Wort steht als Portal. Ein Schritt hinein eröffnet den Blick auf ein millionenfaches durcheinander. Es ist die Welt der dramatischen Gefühle, des introvertierten Leidens oder geschriener Hass. Die Welt der Ungerechten und Getretenen, aber auch die auch die Welt der Glücklichen und der Mutigen. Die den Schritt zum Besseren hinter sich haben und mit ihm die Erfahrung.

Wer das Glück hat, in Deutschland gestrandet zu sein wie Raúl de Zárate, kann sich an die Arbeit machen und dieses Thema bearbeiten. Immer wieder habe ich die Phase bei Künstlern erlebt, in der sie, angekommen an einem Platz der Ruhe, den Begriff Heimat aufarbeiten. Vom eingebunden sein, hinein ins Fremdsein. Auch sich selbst fremd werdend. Das Hin- und Hergeworfen werden zwischen Euphorie und Depression. Sich auszudrücken an dem Medium seiner Bestimmung um daran wieder zu erstarken.

Raúl de Zárate hat erst eine kurze Biographie. In der Ferne wird er auf sich selbst geworfen und arbeitet stark aus sich selbst heraus biographisch. Gibt sich selbst artikulierend wieder und nennt es lapidar "Umstände".

Auf den Malgrund setzt er in unnatürlicher Farbigkeit eine poppige Wolkenatmosphäre um darauf, so lapidar wie der Titel, seine Ikonen der Umstände zu setzten. Die Zigaretten haltende Hand wird zur Metapher für Zeit, der Fisch zur Überwindung von Distanz, die für den Inselbewohner das Meer ist. Flugzeug symbolisiert die Reise und die Endgültigkeit einer schweren Entscheidung.

Die Kontur dieser Ikonen, der Rand der Sachlichkeit, ist mit unruhiger Präzision hart, schattenlos und puristisch gezogen. Wie eine Folie legt er sich und seine Umstände auf eine dimensionslose Neblichkeit. Jedem bleibt offen an diesen Bildern, die zwischen allegorischer Erzählung und minimalistischer Gegenständlichkeit schwanken, noch eigene "Umstände" zu sehen. Eine Anwort versagen die Bilder dem Betrachter, ist nicht gewollt.

Die Insel, latent überall in den Bildern zu sehen, mutiert in der persönlichen Auseinandersetzung vom Objekt zum Subjekt . Ist erst Heimat, Jugend, Repression, Wille und Ausgangspunkt. Wird in Kontur Ikone, dann Metapher, dann Symbol. In der Vielfalt wird die Insel Cuba beliebig, wird zum Umstand anderer, andere Schicksale, andere Inseln. Das Ich enwickelt sich vom Individuellen Schicksal zum emotionskontrollierten Betrachter. Wut wird mildernd allgemein. Vom eigenen Schicksal weg zu dem Anderer.Die Insel wird zum Symbol der Anderen und ab jetzt begann die Arbeit an de Zárate's Ausdrucksform spannend zu werden.

Migrationen in allen seinen Schattierungen ist das aktuelle Thema der Zeit. Rückwärts Gerichtete suchen Lösungen in praktischen Schuldzuweisungen. Fundamentalisten postulieren babylonische Dekadenz, die Politik preist die Segnung der Administration, derweil die westliche Wirtschaft Globalisierung einstweilen für sich selbst deffiniert.

Wie noch nie in der Menschheitsgeschichte, schieben sich Millionen, einem Sardellenschwarm gleich, von austrocknenden Gebieten in feuchtere. Entledigen sich Staaten ihre Minderheiten, in dem sie repressiven Druck ausüben. Dabei kalkulieren, daß es immer jemand gibt, der professionelle Flüchlingserfahrung hat. Der "Schwund", als Boat-People ersoffen oder im Niemandsland zwischen zwei Grenzen an Infektion verreckt, wird dabei billigend in Kauf genommen. Krieg zu nichts anderem als Besitzstandsicherung einiger maßlos gewordener Bürgerlicher Parvenüs, die den Adel der ausgehenden Neuzeit im Verdrängungswettbewerb toppen wollen. Derweil Millionen im Zick-Zack-Gang um Tellerminen herum. Ein makabrer Reigen.

Darum ist es wichtig, die einzelnen Schicksale zu beachten. Die sehen gelernt haben, wie eigentümlich sich Flugzeuge vermehren, von denen nur ein kleiner Teil in die Urlaubsgebiete der Balearen fliegt. Das sich vervielfältigende Flugzeug als Ausdruck, als Umstand, für ein neues Nomadentum. Eine Armada kerosinsaufender Stahltürme erhebt sich Tag für Tag, um berufliche Wanderer an neue globale Mobilität zu gewöhnen.

Dies sind die unbeachteten Varianten des Exils. Das scheinbar freiwillige. Die Handlungsreisenden, die Exilantentum für ihre Karriere in Kauf nehmen, es gewissermaßen solange häppchenweise dosiert bekommen, bis es eines Tages und ganz unmerklich zum Umstand wurde.

Ein ganz entscheidendes Bißchen war es für Raúl de Zárate härter. Vor allem abrupter. I kill you, bevor you kill me. Ich rechne damit von dir getötet zu werden, aber vorher bist du dran. Wer im Leben bereits an dieser Schwelle stand, weiss wie groß der Hass brannte bis er in solch einer nüchternen Aussage mündet. Ich meine diesen Hass, der nichts von machoidem Aufschneidertum an sich hat, sondern Überlebenswille ist. Raúl de Zárate hatte Glück, ein Flugzeug nach Leipzig war sein Glück, aber Good bye Mama sein Pech.

Er hatte zumindest noch eine Wahl. Heute lebt er in Berlin, die Lebens-Umstände bekommen die ersten Anzeichen von dem was wir gerne Normalität nennen, und der Künstler kann arbeiten und verarbeiten. Seine Botschaft sieht ihn weniger gern. Andere, wie die Anwesenden, die sich für verschiedene Facetten von Umständen interessieren, sehen ihn gerne.

In vielen Jahrzehnten der Integration von Zugereisten haben die meisten Menschen in Deutschland gelernt, auch deren Geschichten zu hören. Manchmal waren es nur Küchenrezepte, die ausgetauscht wurden, ein anderes Mal diente es der Befreiung eingefahrener Ideologien. Der türkische Hinweis warum Schweinefleisch nix gut, befreite mich von Knieschmerzen.

Es gibt hundert Gründe, das Fremde zum Umstand zu machen. Heute, im Rahmen der spanischen Wochen die mit Feiern und Ausgelassenheit zu tun haben, sollte denn auch der positive Aspekt von Flucht und Exil betont werden. Die Rettung, das sich entwickeln können, Unterkunft und Gastfreundschaft. Auch "Umstände".

Ich bedanke mich fürs Zuhören und wünsche dem Künstler viel Besucher und eine hohe Beachtung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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