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Peter Herrmann
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Der neue Freund
Avepozo Flat

 

Nachdem das Hohe Gericht in bedeutender Angelegenheit erfolgreich zu meinen Gunsten abgeschlossen hatte, saß ich des abends in trauter Runde in einer der Gaststätten unserer Vorstadt von Lomé. Togoer und Togoerinnen, ein Französischer Kollege. Meeresrauschen. Wir aßen und tranken und hatten schon viel über den Vormittag gelacht, als schon wieder die eidgenössische Heimsuchung in Gestalt der zwei, wie gewohnt, reichlich angeschlagenen bekannten Figuren auftauchte.

Während sich Mongo Doppelkinn an die Bar schlich, setzte sich IQ-Whiskeyflasche an den Tisch neben unsere kleine Gesellschaft und begann, zuerst Blickkontakt mit mir aufzunehmen um dann kundzutun, er wolle mit mir reden.

Das war neu. Ganz neu. Verblüffend neu. Reden? Ohne beleidigende Ouvertüre? Es war so verblüffend, dass meine Neugierde von Null auf Hundert in zwei Sekunden stieg. Ich wechselte den Tisch. Der Schweizer gab mir die Hand. Im Reflex, ohne Überlegung, reichte ich die meine. Er drückte zu. Ein Steineschlepperhandschlag von Herzen. Und schüttelte.

Ich übersetze auf Verständlich: "Das war ganz groß heute morgen. Mein Respekt. Du hast dich da aber so was von optimal aus der Sache geredet, da muss ich echt den Hut ziehen". Ja. Was soll ich da sagen? "Ja". Sagte ich. "Ganz gut gelaufen". Mir fiel nichts ein. Die Situation in ihrer unfassbar schnellen Wandlung machte mich ein wenig schweigend. "Wir schließen Frieden, wir sollten uns nicht mehr streiten". "Ja". Das war ein schöner Gedanke. Allein, mir ging durch den Kopf, dass ja nie ich gestritten hatte und die gleichmäßige Aufteilung in schuldhaftes Verhalten von zwei Menschen machte mich nicht ganz glücklich. Es hatte so gar nichts mit den Monaten vorher zu tun.

Doch Friede ist ein schönes Wort, besonders wenn am Nebentisch indigene Damen sitzen und man da wieder hinmöchte. "Gerne". Erwiederte ich noch immer ein wenig redefaul. Wieder ergriff er meine Hand und ließ bedeutend das rrrrr schnarchen wenn er Frrriede sagte. Es wurde nun weitere Erfrischungsgetränke gereicht, die den Pegel meines Gegenübers konstant halten und mich auf ein adäquates Level bringen sollten. Er wurde ganz generös und schwelgte in seiner emotionsgeladenen Friedenseuphorie. Mehrfach schüttelte er meine Hand. Auch um zu testen, ob ich ein richtiger Geselle bin und Arbeiter, der verzeihen kann und großzügig sein kann. Und ich drückte meinen Handwerkerhandschlag und schaute bedeutungsvoll, um geschnarchtem Frieden eine noch größere Dimension zu verleihen.

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Das Glück wollte es, dass mein Telefon klingelte und ich mich mit dieser Ausrede von dem salbungsvollen Tisch verabschieden konnte. Dieser neue Freund war mir nicht ganz geheuer. Er sagte noch was von: "ich müsse mich nun aber bei seinem Freund Pascal entschuldigen, denn der sei böse auf mich. Ich hätte ihn beleidigt."

Ich mich entschuldigen? Der Gedanke schien hochgradig absurd. Gerade war doch Friede? Warum hatte der Friede plötzlich eine Bedingung. Vor allem. Warum kam die Bedingung von der anderen Seite?

Das Telefon klingelte weiter und ich grübelte parallel, wann ich Mongo Doppelkinn beleidigt hätte. Er mich. Ja. Ich ihn? Nein.

Am Telefon der Freund von der Deutschen Botschaft, der sich erkundigte, wie es heute vormittag gelaufen sei. Ich erzählte, lachte, stellte mich an die weitgehend leere Bar, als ich neben mir einen Tumult wahrnahm.

War es Goethe auf seiner Italienreise, als er die Schönheit der Schweizer Frauen pries und ihren Liebreiz, der allerdings nur soweit reichte, bis sie den Mund aufmachten und Worte dann wie aus einem Steinbruch purzelten? Liebe Züricher. Ich bin Alemanne und gehöre zu eurem Stamm, ihr seid mir wichtig und wertvoll. Wenn aber eure Sprache aus dem Mund eines Zeitgenossen wie Mongo Doppelkinn bricht, muss einem Goethe in Erinnerung kommen. Schauerliches, schaumgeboren aus dem Rausch, röchelt es, stolpert es, schnarcht es.

Während ich noch in die seltenen Erden hineinredete, zerrte Mongo Doppelkinn an einem großen Glasaschenbecher und tönte. "UUUU aaaauahh ooooooaaaahh aaauuuu haaahoooo". Am anderen Ende des Aschenbecher auf der anderen Seite des Tresens hingen zwei indigene Bedienungskräfte und zerrten kräftig in die andere Richtung. "Oh bitte, ich muss aufhören zu reden, weil gerade einer der beteiligten Herren einen Aschenbecher auf meinem Kopf zerlegen will. Bis später"

Mongo zerrte und stöhnte. "Der sagcchhrte ichrrrr sei mongo ol id . Aaaaauuuuaah... " und stolperte dann rückwärts. Die Bedienungskräfte hatten den Aschenbecher und Mongo Doppelkinn taumelte ins Leere.

Er hatte scheinbar erst heute, nach der Gerichtsverhandlung begriffen, dass in den übersetzten Papieren in meinem Brief von vor mehreren Wochen er als "Mongo Doppelkinn" angeführt wurde. Als ich wusste, dass Schnapsdrossel Mama und IQ Whiskeyflasche die Briefe der Großmutter lasen, wollte auch ich ein wenig provozieren und ließ mich zu diesem einmaligen Hinweis verleiten um herauszubekommen ob es stimmte. Was nun schon halb Avepozo wusste, wusste Mongo Pascale zum Zeitpukt meiner Anklage noch nicht. Ich würde zwar schlecht über ihn reden und das war ihm eine Anzeige wert, was das allerdings wäre, erfuhr er erst heute. Doch nun brach es aus ihm heraus.

"Oaaauuuaaaaoohhhhh ..." Er brüllte durchs Lokal wie ein großer Affe, nahm Anlauf, stürzte auf mich zu und schubste mich rückwärts hinein in die Barhocker. Doch da war schon mein neugewonnener Freund der in an mir lang antrainierter Manie "Arrchhschlochrrrrrr" schrie, diesmal nicht mich meinte, sondern Mongo, und ihn nach draussen zerrte.

"Du machchchchst alles chchabutt (kaputt) Arrchhschlochrrrrrr". Es ist schwer zu transkribieren, der Theaterabgang zuerst nach draussen, dann wieder herein und dann an einen Tisch um die interne Hirarchie der zwei wieder festzuzurren.

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Das kam mir Alles sehr gelegen. Wusste ich doch, ich muss die beiden jungen Herren auf die Ebene des Gesetzes bekommen. Nun war es an mir zur Gendarmerie zu marschieren, Anzeige zu erstatten, zurückzukehren, einem trunkenen Maurer eine Anzeige und einen Erscheinungstermin für morgen früh vorzulegen und cool zu grinsen. Er hatte mir durch seinen Stoß den Anlass gegeben, den Gerichtstermin am morgen nun in einem Protokoll am Ort als gewonnen darzustellen und dass ich danach noch einen tätlichen Angriff einzustecken gehabt hätte. Neben der rechtlichen Grundlage die ich für die Zukunft an der Hand habe, präsentierten sich die zwei Helden auch noch als schlechte Verlierer.

Am nächsten Morgen saß Herr Pascale, nun ganz alleine, ohne seinen O-beinigen und O-armigen beschützenden Co-Steineschlepper, ohne Angeberjeep vor der Türe, wie ein Haufen Elend auf der Wache. Nüchtern. Ich ließ den gestrigen Ablauf schriftlich festhalten, konstatierte einen tätlichen Angriff auf Leib und Leben, gönnte mir dann, Herrn Pascale eine Moralpredigt zu halten, die mit der Bitte endete, er möge mir zwei Minuten seines Lebens schenken und kurz darüber nachdenken, was er mir die letzten Monate angetan hätte, um dann generös auf eine Anzeige zu verzichten, weil man in Togo doch sicher besseres zu tun hätte, als zwei schweizer Vollalkoholiker zu verfolgen.

Die kalte Saison in der Schweiz war zu Ende und die Maurer mussten zurück um neuen Mörtel anzurühren und Wackersteine schleppen. Sie brachten ihre neuen Konkubinen bei der Großmutter unter, damit sie nächsten Winter kommen können, um sie dann nach einer Woche rauszuwerfen, neue kennenzulernen und weitere drei Monate der Unterhaltung in den verschlafenen Ort am Strand zu bringen. Es kehrte Ruhe ein in Avepozo. Eigentlich ist es schon fast Langeweile.


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