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Kolumnen
Dorina Hecht, April 2007
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Anlässlich der Ausstellung „Bronzen aus Ife und Benin“
vom 3. 02. bis zum 14. 04. 2007 in der Galerie Peter Herrmann
  Diskussionsbeitrag mit Problemstellung und Vergleich
von Dorina Hecht

 
Bronzen aus Ife und Benin gelten als eine der Hochkulturen Afrikas. Die ältesten Bronzen sind ca. 1000 Jahre alt und zeichnen sich durch eine meisterhafte Gußtechnik und einen ungewöhnlich sensiblen Realismus aus.
Die Diskussion um den künstlerischen Wert der Benin-Bronzen beginnt für Europa erst zur Zeit ihrer Entdeckung - 1897. Damals eroberte eine britische Militärexpedition das Königreich Benin. Der Palast und ein Großteil der Stadt brannte nieder. Der regierende Monarch wurde ins Exil geschickt und eine Kolonialregierung gegründet. Über tausend Bronzeskulpturen wurden damals als Beute nach England geschafft und durch Auktionen an Museen und private Sammler aus Europa und Amerika verkauft. Die Geschichte des Königreichs Benin vor dieser Zeit ist vor allem von oralen Überlieferungen und vielen Vermutungen geprägt. Über die erst nach 1938 bei Ausgrabungen gefundenen Bronzen aus Ife ist sogar noch weniger bekannt.

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Im Gegensatz zur Stammeskunst waren die meisten dieser Objekte nicht zum Gebrauch, sondern für repräsentative Zwecke am jeweiligen Königspalast bestimmt. Ihre Hauptfunktion bestand vor allem in der Ehrung lebender und verstorbener Herrscher und Herrscherrinnen, in der Dokumentation von Palastszenen oder dem Festhalten von geschichtlichen Anlässen. Ob tatsächlich alle Benin-Bronzen für den Königspalast entstanden sind, ist jedoch fraglich, denn die Objekte der Ausstellung sind größtenteils außerhalb des Palastes gefunden worden. Allein diese Tatsache zeigt, wie wichtig der so wenig überlieferte Kontext beim Versuch des Verstehens berücksichtigt werden muss – soweit es eben möglich ist. Damit sind wir beim Grundproblem afrikanischer Kunst im allgemeinen und der Bronzen im besonderen. Welche Möglichkeiten bestehen für uns - dem Kulturfremden - sich einer Kunst zu nähern, die fast ohne begleitende schriftliche Quellen auskommen muss und deren Kultur oft ohne kontextuellen Hintergrund vor allem auf oralen Überlieferungen beruht? Am Beispiel von Objekten, die unter dem Titel „Bronzen aus Ife und Ben in“ vom 3. Februar bis zum 14. April 2007 in der Galerie Peter Herrmann zu sehen war, sollen Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Verstehens erläutert werden. Mit ca. 70 Objekten hat die Galerie eine vergleichsweise große Anzahl von unterschiedlich alten und unbekannten Bronzen aus Ife und Benin zusammengetragen und ermöglicht auf diese Weise ganz neue Vergleiche zu ziehen.

 
Einige bedeutende Ethnologen haben kurz nach der Entdeckung um 1900 erfolgreiche Versuche einer Einordnung unternommen und wichtige Grundlagen zur Untersuchung der Benin-Kultur geschaffen. Den wissenschaftlichen Grundstein legten Ethnologen wie Felix von Luschan, der damals das Berliner Völkerkundemuseum leitete. Auf diesen ersten Beschreibungen aufbauend forschten in den 60er und 70er Jahren vor allem in England z.B. Bradbury, Dark, Fagg und der Ife-Forscher Willett. Die zahlreichen Forschungen aus dieser Zeit brachten erste konkrete Interpretationsansätze und Versuche, die Kunst Benins und Ifes anhand der wenigen zur Verfügung stehenden Quellen in einem historischen Kontext zu sehen. Die wenigen älteren vorhandenen Quellen stammen ebenfalls aus europäischer Hand, von Portugiesen oder Holländern, wie Dapper, die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts mit Benin im Handel standen. Zu den neueren wichtigen Forschern werden z.B. Paula Ben-Amos oder Armand Duchateau gezählt. Letzterer geht ausschließlich von einer Königskultur aus und untersucht einzelne Objekte immer vor dem Hintergrund höfischer Strukturen.

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In Museen, wie dem British Museum in London, dem Berliner Ethnologischen Museum oder dem Museum für Völkerkunde in Wien, befinden sich derzeit einige der Objekte, die 1897 durch die britische Militärexpedition zunächst nach London gelangten. Sie wurden damals direkt aus dem Palast entfernt und gelten deshalb als authentische Objekte. Über allen anderen auf dem Kunstmarkt kursierenden Benin-Bronzen aus den verschiedenen Jahrhunderten, wie z.B. denen der Galerie, schwebt immer ein Unsicherheitsfaktor. Wenn sie nicht von dem Palastraub stammen, gelten sie als umstrittene Objekte mit unbekannter Herkunft. Ihre Wertschätzung fällt dementsprechend deutlich geringer aus und die Echtheit muss durch verschiedene Methoden zunächst bewiesen werden. Dabei geht es nicht hauptsächlich um die Frage der Echtheit, sondern vor allem um das konkrete Alter der Bronzen, denn mit Bestimmung des tatsächlichen Alters wäre die Frage nach der Echtheit hinfällig, zumindest wenn es sich um alte Bronzen handelt.
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Das einzig Gesicherte bei den Objekten der Militärexpedition ist, dass sie älter als 1897 sein müssen. Alles andere ist genauso unklar, wie bei den anderen auf dem Markt kursierenden Objekten.
Mindestens zwei chemisch-physikalische Methoden zur Bestimmung des Alters haben sich bereits etabliert: zum einen eine metallurgische Prüfung und die Thermolumineszenz-Prüfung (TL). Das relevanteste Verfahren ist nach Erfahrung der Galerie die TL-Prüfung - eine bewährte aber immernoch nicht vollends anerkannte Methode, die von Rückständen des gebrannten Gußkerns exakte Schlüsse auf das Herstellungsdatum zieht. Diese Methode versucht die Galerie Herrmann mit der, aus Sicht der Kunstwissenschaft, naheliegendsten Methode zur ungefähren Altersbestimmung zu ergänzen – mit einem direkten Stilvergleich.
 
Wann in welchem Stil gearbeitet wurde und wie er sich entwickelt hat, ist nicht leicht zu beantworten, weil die Beniner Gießer gleiche Motive über die Jahrhunderte immer wieder aufgriffen und oft nur wenig veränderten. Bereits um 1900 hat Luschan bezüglich der Stilanalyse Theorien entwickelt. Er geht von einer Art Verfalls- oder Niedergangstheorie aus. Technik und formale Qualität der Bronzen würden demnach im Laufe der Zeit eine immer geringere Qualität aufweisen. Diese These erscheint auch anhand der Ausstellung teilweise nachvollziehbar, aber nicht eindeutig belegbar. Die ältesten Arbeiten der Ausstellung, wie der ca. 900 Jahre alte Hofzwerg oder zwei 700 und 600 Jahre alte Köpfe sowie eine Maske aus Ife sind zwar von bemerkenswerter Qualität – ...
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... sie zeichnen sich durch das überzeugende Erfassen der Physiognomie aus, besitzen einen eigenen erhabenen Ausdruck und sind meisterlich dünn und ebenmäßig gegossen - aber selbst unter den jüngeren Objekten zeichnen sich einige, wie z.B. der Krieger mit dem Krokodillederhelm, durch eine sehr hohe technische und formale Qualität aus. Zeitgenössische Forscher wie Eisenhofer zweifeln die Verfalls- oder Niedergangstheorie zu Recht an und vermuten, dass sie auf koloniale Rechtfertigungen der Briten zurückzuführen ist, wonach die Briten eine Kultur beraubt hätten, die ohnehin schon ihrem Ende zuging. Eine andere Theorie ist die von Fagg und Dark entwickelte Chronologie, dass die Beninbronzen im 13. bis 15. Jahrhundert aus der Gießkunst der Yoruba-Stadt Ife hervorgegangen sind. Ihre Theorie beruht ebenfalls auf nachvollziehbaren Beobachtungen, denn eine realistische und sensible Darstellungsweise ist typisch, sowohl für die Bronzen aus Ife als auch für die frühe Periode der Beninkunst, und wird daher meist als Beweis für die Beeinflussung durch Ife und den bemerkenswerten Ife-Stil gesehen.

 
Mehrere Objekte der Ausstellung sprechen jedoch gegen den Ursprung in Ife, wie an Modellierungen von Ohren und Gesicht zu sehen ist die deutlich an die Benin-Kultur verweisen. Stimmt dies, müssten Faggs und Darks Theorie ganz neu überdacht werden. Fragen tauchen auf: Ist die Bronzekultur Ifes möglicherweise ausschließlich Benin zuzuordnen? Existierten beide Kulturen parallel? Oder kann vielleicht nur von einem Ife-Stil gespochen werden, dessen Bronzen auch in Benin gegossen wurden, wie es Eisenhofer bereits vorgeschlagen hat? Für einen in Benin gegossenen Ife-Stil und gegen Luschans Verfalls- und Niedergangstheorie sprechen ebenfalls die 100 und 250 Jahre alten königlichen Paare, in denen beide Stile verschmelzen. Sie weisen sowohl den sensiblen Realismus auf, der sonst nur älteren Arbeiten zugestanden wird, als auch die Modelierung des Körpers im Benin-Stil.
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Der Realismus ist bei ihnen sogar noch weiterentwickelt und zu einem bisher unbekannten individuellen Gesichtsausdruck beider Figuren gesteigert.
Noch konkreter lässt sich die These vom Guß in Benin an einem kleinen Kopf nachvollziehen, der eindeutig Züge von Ife-Köpfen aufweist. Nach mündlicher Überlieferung stellt er eine Ife-Persönlichkeit dar, die nur vage als „Moro“ bekannt war, ist um 1880 in Benin gegossen und im Obaseki-Schrein gefunden worden. Die TL-Expertise hat die Altersangabe später bestätigt.

 
Die bekanntesten Bronzen aus Ife sind lebensgroße majestische Köpfe mit Schmucknarben und Aufsatz für die königliche Krone, Masken und höchstens noch Büsten. Ganze Figuren sind in der Literatur nicht verzeichnet. Die Ausnahme bildet eine Hockende, die von Fagg entdeckt wurde und stilistisch Ife zugeordnet wird (Vgl.: Frank WILLETT: Ife. Metropole afrikanischer Kunst, Bergisch Gladbach 1967, Tafel 8). Eingeborene hätte sie aus rituellen Zwecken - um die Fruchtbarkeit der Frauen zu stärken - ständig mit Sand abgerieben, was ihr das heutige glatte Aussehen verlieh.

 
Zwei ähnlich Hockende in der Ausstellung können wieder als Argumente gegen die oben angeführten Theorien dienen. Zumindest eine davon ist nachweislich 700 Jahre alt - also zeitgleich mit einem wunderbar eleganten Ife-Kopf entstanden - aber viel grober und stilisierter ausgearbeitet als die bei Willett Abgebildete. Obwohl kleine Merkmale, wie die Ohren, stilistisch eher auf Ife verweisen, ist sie ansonsten in merkwürdiger und ungewöhnlicher Grobheit gearbeitet, die möglicherweise auf eine stilistische Vermischung deutet. Dennoch dienen sie als gute Vergleichsbeispiele und können ein bisschen Licht in bisher Ungeklärtes bringen. Was an einer Figur wie Zufall erscheint, stellt sich bei genauerer Betrachtung als immer wieder kehrendes Gestaltungselement heraus: gemeinsam ist allen drei Figuren ein fehlender Fuß und fehlende Hände. Sie sind nicht etwa abgeschlagen oder anderweitig abhanden gekommen, die Figuren scheinen bereits ohne sie gegossen zu sein. Darauf verweisen zumindest die ganz klaren Gußränder einer Figur an Fuß und Händen. Ob sie vielleicht nächträglich mit hölzernen Händen und Fuß bestückt wurden, kann nur spekuliert werden.
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Offensichtlich fehlten die Gliedmaßen, um etwas anderes an der Figur zu befestigen, vielleicht irgendeinen Schmuck, so wie auch die Ife-Köpfe mit Perlen, Haaren und anderem Schmuck ausgestattet waren. Die auffälligen Parallelen deuten auf ein bewusstes Aussparen der Gliedmaßen an, deren Sinn und Zweck noch gänzlich unerforscht ist.

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Hinter den meisten Theorien stehen noch große Fragezeichen, vieles ist aus oralen Überlieferungen zusammengetragen und trotzdem von zahlreichen Vermutungen geprägt. Die bedeutende Benin-Forscherin Paula Ben-Amos hat sich das meiste ihres Materials seit den 60er Jahren in mühevoller Feldforschung selbst erarbeitet und orale Überlieferungen gesammelt. Dennoch erscheinen manche Überlegungen im direkten Vergleich mit den Arbeiten fragwürdig. Einen Kopf aus dem 16. Jahrhundert mit sogenannter Ibo-Frisur, einer stufigen Flechtfrisur, hält sie für eine Trophäe und nicht wie sonst üblich für einen Gedenkkopf. Nach ihrer Theorie wäre als Zeichen des Triumphes einem besiegten König der Kopf abgeschnitten worden, um ihn der Bronzegilde zum Nachgießen zu überreichen. Diese brutale Vorgehensweise sei nur
 
bei besonders rebellischen Feinden angewendet worden und hätte als Warnung für seinen Nachfolger gedient, dem er anschließend zugeschickt wurde. (Vgl.: Paula Girshick BEN-AMOS: The art of Benin, London 1995, S. 26.)

 
Interessant ist an dieser Stelle ein Vergleich mit Bronzeplatten auf denen Figuren mit der gleichen Frisur abgebildet sind. Allein in der Ausstellung befinden sich sechs Platten, auf denen die Protagonisten diese "Ibo-Frisur" tragen. Sie treten immer als Pagen, Häuptlinge, Krieger oder sonstige Gehilfen des Königs auf und sind meist durch Korallenketten als ranghohe Mitglieder des Königspalastes gekennzeichnet. Die Häufigkeit und der Kontext dieser Frisuren spricht demzufolge weniger für einen Gegner oder Feind als vielmehr für eine typische Frisur von Angehörigen des Palastes, vielleicht sogar für einen Gedenkkopf des eigenen Königs, so wie es Willett vermutet. Falls diese Frisur doch einen Ibo kennzeichnen sollte, kann es entweder nur bedeuten, dass die Ibos mit den Edo/ Bini zusammengearbeitet haben und am Palast beschäftigt waren oder dass sie als Sklaven zum Dienst verpflichtet wurden. Letzteres erscheint allerdings wegen der
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Häufigkeit des Motivs und deren stolze Präsentation unlogisch. Kulturelle und stilistische Vermischungen sind keine Seltenheit in Benin. Fremde Einflüsse haben sie über Jahrhunderte geprägt und Ausdruck in ihrer Kultur gefunden. Ein sehr prominetes Beispiel sind die Darstellungen von Portugiesen, die im Falle der Berliner Ausstellung als Leopardenjäger, als Medallion im Hintergrund und sogar als Motiv vieler Stoffmuster Eingang in die Bronzen fanden und für abbildungswürdig befunden wurden.

Dass die Benin-Kultur auch von den Nachbarländern beeinflusst wurde, zeigt ein Relief mit einem Oba (König von Benin), dessen Füße als Schlammfische oder Zitterwelse enden. Sein Gesicht und das der zwei ihn stützenden Personen weisen stilistisch noch auf Benin hin. Auf einen fremden Einfluss deuten die sechs links und
 
rechts dargestellten affenähnlichen Figuren, die für Benin vollkommen untypisch sind. Mit ihren verdrehten Beinen erinnern sie an einen östlich von Benin auftauchenden Stil - möglicherweise Tsoede (Zentral-Nigeria). Ähnliche Figuren tauchen später wieder im Kameruner Grasland auf, was zumindest auf einen fremden Stil östlich von Benin schließen lässt.

Eine stehende Bronzefigur mit Kreuz vor der Brust, Katzenschnurr-haarnarben an den Mundwinkeln und Hut ist stilistisch eindeutig Benin zuzuordnen, dennoch weist auch sie fremde ungewöhnliche Elemente auf. Katzenschnurrhaarnarben sowie Kreuz sind für Benin untypisch. Besonders die Narben weisen auf einen Fremden hin. Diese Figur trägt einen Lendenschurz, der Oberkörper ist unbekleidet und außer dem Kreuz nur mit zwei weiteren Ketten geschmückt.
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In der rechten Hand hält er einen Haken oder gebogenen Stab und in der linken eine Art Axt oder Hammer. Die Bedeutung dieser stehenden, männlichen Figur gibt einige Rätsel auf und provoziert zu zahlreichen Theorien und Vermutungen. Solche Narben sind typisch für einige Volksgruppen, unter anderem für die Nupe, die nördlich der Yoruba leben. Sie tauchen allerdings auch bei alten Ife-Terrakotten auf, was Frank Willett zu der Vermutung veranlasst, es könne sich um Ife-Leute handeln, die als Boten zwischen beiden Königsstädten fungierten. Diese Theorie wird gestützt duch die Überlieferung eines Portugiesen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Auch er berichtet von einem Boten des Königs, der die Embleme der Autorität (Hut, Brustkreuz, Stab) von Ife nach Benin gebracht haben soll, um damit den neuen König in Benin zu bestätigen. Der Bote soll nach Erfüllung seiner Mission als Zeichen seiner neu gewonnenen Freiheit als ehemaliger Sklave selbst ein Kreuz erhalten haben.
Felix von Luschan versucht schon 1919 zu belegen, dass es sich bei dieser Figur um einen König mit dem Beinamen "Panther" handelt. Demnach hätte die Darstellung der Schnurrhaare keinen realen Abbildungswert, sondern
 
wäre rein symbolisch zu deuten. Das umgehängte Kreuz versteht er als einen von Portugal verliehenen Christusorden. Seine Theorie gilt mittlerweile als veraltet und wird kaum noch diskutiert. Die jüngere Forschung, wie z.B. Paula Ben-Amos, schlägt für die Deutung dieser Figur etwas ganz anderes vor. Demnach stelle sie entweder einen Priester von Osanobua, den Schöpfergott, oder das Mitglied des Geheimbundes "Ewua association" dar. Beide Gruppen hätten am Palast Kreuze getragen. Das Kreuz wäre nach dieser Deutung ein kosmogonisches Zeichen und Hinweis auf die Schöpfung der Welt.

 
Während dieser Typus in der Kunst Benins in unterschiedlicher Abwandlung immer wieder auf taucht, ist ein anderes Objekt in keiner Literatur zu finden und somit noch rätselhafter - der Krieger auf einer Schnecke. Er ist mit den typischen Korallenhalsketten ausgestattet, was ihn als Angehöriger des Königshofes kennzeichnet. Über die Bedeutung der Schnecke kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Da Tiere meist in engem Zusammenhang mit einem Mythos stehen, kann möglicherweise ein Zusammenhang mit einem von dem Benin-Chronisten Egharevba (1893-1980) aufgezeicheneten Mythos über die Dynastiegründung bestehen.
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Demnach sandte der Gott Osanobua seine Söhne aus, um auf der Erde zu leben. Sie sollten sich alle etwas nützliches mit auf die Reise nehmen. Während die älteren Söhne Eigenschaften wie Magie oder Reichtum wählten, nahm der Jüngste auf Anraten eines Vogel eine Schneckenschale mit. Als die Söhne auf die Erde kamen, stellten sie fest, dass die im Himmel nützlichen Eigenschaften Magie und Reichtum auf der Erde unbrauchbar waren, weil die ganze Erde überflutet und somit unbewohnbar war. Dem Jüngsten befahl der Vogel die Schneckenschale umzudrehen und heraus strömte eine endlose Sandmenge, die ihn Herr über ein riesiges Stück Land werden ließ. So wurde der jüngste Sohn Herrscher über die Welt. Möglicherweise stellt das Objekt den stolz auf seiner nützlichen Schnecke sitzenden oder herrscherlich reitenden jüngsten Sohn Osanobuas dar, der danach zum Gründer des Königreichs Benin wurde.

Der Beniner und Benin-Chronist Egharevba hat mit dem Aufschreiben alter Mythen und Legenden - viele davon von seiner Großmutter erzählt - zweifellos einen beispiellosen Beitrag zur Erinnerungskultur des früheren westafrikanischen Königreichs Benin geleistet. Problematisch ist für viele Deutungen, dass seine historischen Aufzeichnung als „Fakten“ oft unreflektiert wiedergegeben werden. Schließlich kann seine Sicht auf die Ereignisse von einem Kulturfremden schlecht widerlegt werden. Dass auch die Daten eines Chronisten aus Benin hinterfragt werden müssen, zeigt ein Beispiel in der Ausstellung.

Der weit überlebensgroße Kopf mit flügelartigem Kopfschmuck stellt allein wegen seiner Funktion eine Besonderheit dar. Während die meisten anderen Bronzen zu repräsentativen Zwecken entstanden sind, wurde dieser wie auch die weiblichen Pendants mit spitzer Korallenhaube für Opferrituale benutzt. Schätzungen über das Alter dieser Köpfe beziehen sich in sämtlicher Literatur mit unkritischer Wiederholung fast ausschließlich auf Egharevbas Ausführungen. Demnach wäre die Darstellung von Herrschern der Benin-Kultur mit flügelartigem Kopfschmuck erst von Oba Osemwede (1816-46) eingeführt worden und deshalb höchstens 190 Jahre alt. In der Ausstellung ist ein ebensolcher Kopf mit Flügel per TL-Expertise auf 450 Jahre geschätzt worden. Außerdem werden in der Literatur stilistisch verwandte Köpfe ohne Flügel - die aus gleichen Werkstatt zu stammen scheinen – sehr häufig auf mehr als 250 Jahre datiert. Wie passt das zusammen? Wenn alle diese Einwände wissenschaftlich geprüft würden, müssten auch Egharevbas Behauptung teilweise korrigiert werden.

Vieles über die Bronzen liegt im Dunklen, wenig ist geklärt. Oftmals können weder konkrete Angaben über das Alter, noch über den Kontext gemacht werden, in dem das Objekt entstanden ist – von der Zuordnung zu Gießwerkstätten oder gar einzelnen Personen/ Künstlern ganz zu schweigen. Eine Anerkennung der großen Anzahl von Objekten, die außer den anerkannten auf dem Markt kursieren, wie die Bronzen der Ausstellung, würden allein stilkritisch bisher ungeahnte Chancen mit aufschlussreichen Vergleichsmöglichkeiten bieten. Auch wenn durch einen direkten Vergleich nicht immer 100prozentige Fakten gewonnen werden, so kann wie am Beispiel der Hockenden oder an der Ibo-Frisur gezeigt, immer mehr eingegrenzt, viel Unlogisches ausgeschlossen und neue Erkenntnisse gewonnen werden.



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